KLÄNGE OHNE RAND

Unter dem Titel „the most beautiful noise on earth“ fand von 8. bis 10. November die 27. Ausgabe des unlimited Festivals in Wels statt. Die diesjährige Kuratorin Okkyung Lee, die bereits mehrmals beim Festival zu Gast war, sorgte für ein Programm, das ganz im Zeichen des Experiments und der freien Improvisation stand. Ein Bericht von den ersten zwei Tagen des Festivals:

Rauschen, quietschen, röcheln – Geräusche, die man dem Instrument nicht zuschreiben würde, hallen von den Wänden des sakral anmutenden Saales wider, dessen Oberflächen und Lufträume Teil der Performance der aus Korea stammenden Cellistin und Komponistin werden: eine intensive Performance Okkyung Lees am Samstag Nachmittag im Welser Minoritensaal – roh, grob und puristisch – das Cello, der Raum und die Musikerin. Wie auch bei ihrem 2013 erschienen Werk „Ghil“ (Edition Mego in Kollaboration mit Ideologic Organ) stand das Ausloten klanglicher Grenzen des Instruments in der individuellen Handschrift der Musikerin im Vordergrund.

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Okkyung Lee

Am Unlimited 27 begegneten sich herausragende Musiker_innen aus aller Welt – diese akustischen Annäherungen und Konfrontationen – einmalige und einzigartige Ereignisse – boten die Möglichkeit für Unvorhersehbares und Überraschendes fernab von konventionellen Kategorisierungen. Ein Merkmal des diesjährigen Festivals war die Offenheit und Spannung zwischen vermeintlich Gegensätzlichem: brachialer Noise und filigrane Soundgebilde, Ineinandergreifen von digitalen und analogen, visuellen und auditiven Ausdrucksformen, einerseits die starke physische Präsenz der Künstler_innen – auf der anderen Seite die Gegenwart schwer greifbarer, schwindend – abstrakter Klangräume. Alles, nur kein Stillstand. So wurden auch die Zuhörer_innen gefordert, sich stets auf neue Setups und Konstellationen einzulassen.

Bereits das erste Konzert im alten Schlachthof am Freitag, bei dem Größen zeitgenössischer Improvisation aufeinandertrafen (Achim Kaufmann, Urs Leimgruber, Axel Dörner und Roger Turner) war Ausdruck dieser Dynamik, die sich durch das ganze Festival zog. Dörner unterstrich sein individuelles Trompetenspiel mit subtiler Elektronik und erzeugte Geräusche, die mit den fundamentalsten Wesenszügen des Instruments arbeiteten. Das Quartett erhielt eine Spannung aufrecht, die sich zwischen feinsinniger Gelassenheit und energischer Entladung bewegte.

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Axel Dörner und Roger Turner

Hong Chulki und Jin Sangtae, zwei Vertreter der Elektronikszene Südkoreas, trafen auf die österreichische Sound- und Videokünstlerin Billy Roisz, deren visuelle Bildsprache sich in der darauffolgenden Performance fortzusetzen schien: Lasse Marhaug und Kjell Bjørgeengen erzeugten einen visuellen Klangraum mit Feedbackschleifen zwischen minimalistisch eingesetztem Harsh Noise und Flicker-Videos auf Röhrenfernsehern – ein Raum im Raum, eine Performance, die an dem technischen Ursprung von elektronischem Sound und Bild anknüpft, ein physisches Erlebnis. „For me performing loud music is about eliminating the room that is there and creating a new temporarily space“ schreibt Marhaug in seinem Fanzine „Personal Best #3“.
Das letzte Konzert des ersten Abends: Body/Head (Kim Gordon und Bill Nace) begleitet von Ikue Mori am Schlagzeug(!)1 wurde von vielen Besucher_innen sehnsüchtig erwartet – es lag Spannung in der Luft. Einige Momente des 2013 erschienenen ersten Albums „Coming Apart“ tauchten auf, wie der schneidende, assoziative Gesang Gordons in Abstract und Actress. Im Gegensatz zu den Aufnahmen nahmen die Improvisationen weniger Songstrukturen an, der rhythmische Part war geprägt vom intuitiven Schlagzeugspiel Moris, die Gitarren Gordons und Naces meist schleppend und langgezogen, jedoch sich weniger aufeinander beziehend, vereinzelt splitternde elektronische Klänge aus Moris Laptop – im Hintergrund Projektionen extrem verlangsamter Bewegungsabläufe.

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Body/Head: Kim Gordon und Bill Nace

Neben der Performance Okkyung Lees fand am Samstag Nachmittag im Medienkulturhaus ein weiteres Konzert statt: Ikue Mori erzeugte mittels Laptop fragile Soundgebilde – düstere, dunkle Fairytales, ein Soundtrack für abstrakte Videos: Muster, die sich überlagern, auflösen und wieder beginnen klarer zu werden. Marionettenpuppen erscheinen und wirken wie aus einem seltsamen Traum entnommen – schön und verstörend zugleich.
Auch bei der Performance von John Hegre und Greg Pope schien die Distanz zwischen Sound und Bild zu verschwinden. Das eindrucksvolle Sicht- und Hörbarmachen von Destruktion war Teil des minimalistischen Konzepts: Das 16mm Filmband wurde während des Abspielens von Pope durchlöchert, geritzt und gesägt – die Projektionen zeigten anfangs nur vereinzelte Punkte, dann Linien, flächige Strukturen und ihre Überlagerungen. Die entsprechenden, industriell wirkenden Sounds wurden von Hegre interpretiert und schwollen von einem geschäftigen Hämmern zu einem rauschenden Donnern an. Klang und Bild standen in direktem Zusammenhang zueinander – ereigneten sich im selben Moment, und begannen sicht- und hörbar komplexer zu werden – bis zum Kollaps.

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John Hegre und Greg Pope

In der freien Improvisation von Lisa Ullén, Lotte Anker, Nina de Heney und Mark Sanders, die erstmals als Quartett auftraten, kamen Fragmente von Melodien auf – eine nuancierte Konversation entstand und entschwand in offenere Strukturen. Beeindruckend war hier besonders Ankers intensives, definierendes Saxophonspiel.
Thomas Lehn und Marcus Schmickler – eine Begegnung digitaler und analoger Elektronik: Sounds aus vier Lautsprechern definierten einen Klangraum – in der Mitte saßen sich die Musiker gegenüber. Lehn bediente in bizarren Bewegungsabfolgen einen analogen Synthesizer – während Schmickler, starr – über das Touchpad seines Laptops strich. Die persönliche auditive Wahrnehmung konnte beim Durchwandern des Raumes erforscht werden – jede Bewegung, jede Drehung hatte Einfluss auf das Hörerleben.
Herausragende und überraschende Passagen gab es beim Auftritt von Chris Corsano / C Spencer Yeh / Stine Janvin Motland. Die Vokalistin Motland sorgte mit differenzierten und facettenreichen Vocals dafür, dass dem Publikum im Saal des alten Schlachthofs mehrmals die Luft wegblieb.

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Chris Corsano und Stine Janvin Motland

Zum Abschluss des Abends spielte die Band MoE (Guro Skumsnes Moe, Joakim Heibø, Håvard Skaset) aus Norwegen ein lautes und direktes Konzert – eine Druckwelle. Die Einflüsse sind hörbar, trotzdem entwickelte MoE, getragen von der Vokalistin und Bassistin Moe eine eigene Form, die sich nicht unbedingt in gängige Schemen des Noise-Rock einordnen lässt. Im Anschluss legte Dennis Tyfus, „Oktopus-Gestalt“ (Rokko’s Adventures NO13), Künstler, Musiker und Labelbetreiber von „Ultra Eczema“ bis spät nachts auf. Tyfus bizarre Siebdrucke wurden während des Festivals im 1. Stock des alten Schlachthofs ausgestellt.

Skizze:

Guro Skumsnes Moe

„Noise ist für mich die persönlichste, individuellste Weise, Musik zu machen“, so Okkyung Lee in freiStil #51. Lees Verständnis von Noise bezieht sich auf „das Geräuschhafte ganz allgemein, das Geräusch, das Rauschen bzw. ‚Musik, die nicht aufgeschrieben werden kann‘.“ (freiStil #51) Noise in diesem Sinn beschränkt sich nicht auf eine konventionelle Vorstellung von Lärm oder auf eine gewisse Lautstärke – es kann genauso ein Hauch sein, ein fragmentierter Laut, ein Flüstern. Ebensowenig kann Noise auf eine Wahrnehmungsebene reduziert werden – Noise lässt sich nicht fassen, umranden oder limitieren.
the most beautiful noise on earth? Die Schönheit findet sich in der Irritation, im Unerwarteten – im Augenblick, in dem Grenzen ins Bewusstsein rücken und beginnen sich zu verschieben. Das Instrument / Werkzeug / Ausdrucksmittel selbst wurde oftmals an der Basis hinterfragt und auf das Elementarste reduziert – eine Annäherung, in die sich das persönliche Vokabular einschreibt, eine Handschrift, eine Sprache – Konversationen: Momente voll von „beautiful noise“.
(Adina Camhy)


Fotos: :::noise redux::: – Markus Gradwohl (cc-by-nc)

Der Nachbericht zum Festival ist eine Annäherung an das Thema der zweiten tortuga-Ausgabe ‚LÄRM‘ und zugleich ein Ausloten von Grenzen (tortuga #1): eine Auseinandersetzung mit experimentellen Zugängen in zeitgenössischer Musik.

1 Ikue Mori startete 1978 als Schlagzeugerin bei der Band DNA, arbeitete dann jedoch vorwiegend mit digitalen Methoden der Sounderzeugung (Drumcomputer, Laptop). Am Unlimited 27 saß sie nun erstmals seit ca. zwanzig Jahren wieder live am Schlagzeug.

unlimited 27 - markus gradwohl - http://www.noiseredux.net/ (cc-by-nc)

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Links und zitierte Quellen:
music unlimited festival
PERSONAL BEST – fanzine for noise, music and random chaos
Rokko’s Adventures
freiStil – Magazin für Musik und Umgebung
:::noise redux:::

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